Geschlagen
Was war dies nur für ein Tag heute!? Zugegeben, er war nicht bester Stimmung. So Vieles ging ihm heute daneben. Und jetzt klingelte auch noch zum x-ten Mal das Telefon. Gerade wollte er zum Telefon eilen, da hörte er seine Tochter die Treppe herunterpoltern:
„Papa!“, sie schluchzte: „Er hat mich geschlagen“, die Zehnjährige stand weinend vor ihm: „Er…“, sie schluckte: „immer ...“, schluckte sie wieder.
„Wie er hat dich geschlagen, wer hat dich geschlagen?", unterbrach der Vater seine Tochter. Er war sichtlich entsetzt: „Ralf komm sofort herunter!", rief er nach oben.
Er hörte, wie sein 11-jähriger Sohn aus seinem Zimmer gerannt kam.
„Ja Papa, was ist denn? Ich komme, bin schon unterwegs!“, rief dieser herunter.
„Was soll denn das? Wer schlägt da deine Schwester? Doch nicht du, oder? Ich mag mir dies gar nicht vorstellen. Hab ich euch nicht schon so oft erklärt, dass man nicht schlägt? Ja Zappalot aber auch!“
Während der Vater sich zu seiner Tochter herabbeugte, begann ihre Tränen zu trocknen, kam der Sohn, langsamer geworden, die Treppe hinab: „Aber Papa, ...“
„Was möchtest du denn nun für ein 'Aber' anbringen? In diesem Haus wird nicht geschlagen. Nie und niemals! Ganz gleich wer oder warum auch immer.“ Der Vater wirkte sehr aufgebracht. Er blickte seinen Sohn streng an.
„Papa, bitte. Was ist denn los? Ich und Elisabeth, wir haben doch ...“
Wieder unterbrach der Vater: „Was habt ihr ...? Was, woraus sich je ein Grund ergeben könnte ...“, er tupfte seiner Tochter liebevoll die letzte Träne aus dem Gesicht. Elisabeth hatte inzwischen begonnen, zaghaft an seinem Hemdsärmel zu zupfen:
„Papa“, sie versuchte sich aus der sanften Umarmung ihres Vaters zu befreien: „Papi, bitte.“ Ihre kleine Hand winkte vor seinen Augen.
Der Blick des Vaters wandte sich von seinem Sohn zu seiner Tochter, die aufgehört hatte zu weinen:
„Papi, bitte. Papi ich glaube, du hast mich missverstanden.“
Der Vater sah seine Tochter verwundert an. Elisabeth fuhr fort:
„Papa, ich und Ralf wir haben Kinderschach gespielt. Und er war immer so viel besser als ich.“
„Und dann schlägt ...“, der Vater unterbrach sich selbst. Sein Blick wanderte zwischen seinen Kindern hin und her. Sein Sohn sah inzwischen sehr betroffen drein.
„Ja, Papa, er hat mich beim Schach geschlagen, immer gewonnen.“
„Und, und ich habe ...“, der Vater stockte: „Oh Gott. Und ich …, dass ich auch nur den Gedanken, solchen Zweifel haben konnte ...“.
Das Mädchen umarmte ihren Vater. Ralf, der inzwischen ebenso herangekommen war, umarmte seinen Vater ebenfalls. Dieser drückte seine Kinder fest an sich.
„Es tut mir so leid ...“, dem Vater standen nun selbst schier die Tränen in den Augen.
„Papa, ist schon gut. Ich war doch nur so traurig, weil ich dieses Spiel einfach nie gewinne. Ich war Ralf ja nicht einmal böse.“, mit diesen Worten stupste sie ihren Bruder liebevoll an.
„Komm, Schwesterherz, traust du dich noch eine Runde mit mir zu spielen?“, Ralf sah seine Schwester auffordernd an.
„Aber nur, wenn Papa auch mitspielen darf. Er darf mir ja vielleicht helfen?“, sie griff ihren Vater am Hemdsärmel und zog vorsichtig daran.
Ralf nickte bejahend. Die Drei gingen nach oben ins Kinderzimmer. Schon ein paar Minuten später hörte man sie gemeinsam scherzen und lachen, während im Erdgeschoss das Telefon wiederholt, alleine vor sich hin läutete.